800-1100 n. Chr.: Die Altenburg am Kemmenbach

1000 n. Chr. | Die "Altenburg" am Kemmenbach

 

Bild: Faksimilekopie des goldenen Löwen aus der «Altenburg» bei Märstetten


Unmittelbar an der Nordgrenze des heutigen Gemeindegebiets, auf einem hohen, steil abfallenden Sporn oberhalb des Kemmenbaches befindet sich die Ruine "Altenburg" (Dialekt: "Alteburg"). Es handelt sich um eine hochinteressante Ruine, welche überdurchschnittlich stark mit Malereien geschmückt war. Es fällt auf, dass die Burgmauern relativ schwach gebaut worden sind, was darauf hin weisen könnte, dass sich deren Besitzer entweder so mächtig fühlten, um auf einen massiven Schutz verzichten zu können oder dass die Burg eher kirchlichen Fürsten gedient haben könnte.

Allerdings muss dabei berücksichtigt werden, dass im Süden und Westen (auf der Zeichnung links oben und oben, ausserhalb des eigentlichen Grundrisses) offenbar dicke Mauern vorhanden waren, welche abgerutscht sind.

Bearbeitetes Faksimile der 1910 erstellten Ausgrabungskarte (Grundriss)

Bearbeitetes Faksimile der Ausgrabungskarte (Querschnitt A - B, Blick nach Westen)

Aussenmauer: Bearbeitetes Faksimile der Ausgrabungskarte (Schnitt C - D, Blick nach Osten)

Bearbeitetes Faksimile der Ausgrabungskarte (Querschnitt E - F, Blick nach Süden)

Wohnraum: Bearbeitetes Faksimile der Ausgrabungskarte (Schnitt G - H, Blick nach Süden)

Burgfried: Bearbeitetes Faksimile der Ausgrabungskarte (Schnitt J - K, Blick nach Osten)

Über deren Alter, Eigentümer und Zweck können trotz einer semiprofessionellen Ausgrabung in den Jahren 1901-1910 nur Vermutungen angestellt werden. Die Steinbauweise der "Altenburg" unterstreicht den Reichtum und Einfluss der Besitzer, denn die Bauten jener Zeit bestanden üblicherweise aus Holz. Erst im späten 11. Jahrhundert setzt die Steinbauweise ein und treten Wohntürme aus Stein auf. Burgen von weniger begüterten Adligen bestanden noch bis ins 12. und 13. Jahrhundert aus Holz.

Zudem legen die Fundstücke nahe, dass es sich um den Wohnsitz einer reichen Familie mit sehr weitläufigen Beziehungen gehandelt haben muss, wie dies auch der an der Ausgrabung beteiligte Märstetter Pfarrer Michel in Heft 52 der "Thurgauischen Beiträge zur Vaterländischen Geschichte" vermutet hat:

 

Hinweis zum Begriff "Zellenschmelztechnik" im obigen Text: Eine besonders anspruchsvolle Technik zum Herstellen von Emailbildern, bei welcher einzelne Bildbereiche (Zellen) durch Metalldrähte - häufig aus Feinsilber oder Feingold und mit meist rechteckigem Querschnitt - von einander getrennt werden.  Der berühmte mittelalterliche Goldschmied Benvenuto Cellini (1500-1571) hat gesagt: „Das Email cloisonné (= Zellenschmelztechnik) ist die edelste aller Emailtechniken“.


Bild: Beispiel für eine Ikone, welche in Zellenschmelztechnik emailliert wurde (Byzanz, um 1100 n.Chr., Bayerisches Nationalmuseum)

Stammburg der "von Klingen"?

Mehrere Quellen gehen davon aus, dass es sich um die Stammburg der Herren "von Klingen" gehandelt haben könnte. Da aber einerseits die bei den Ausgrabungen gefundenen Gegenstände in der "Altenburg" allesamt klar vor das Jahr 1200 datiert werden, andererseits aber - abgesehen von der Legende um "Wiborada von Klingen" - das Geschlecht der "von Klingen" erst ab etwa 1200 n. Chr. mit dem St. Galler Abt "Heinrich von Klingen" in Erscheinung treten, ist diese Version wohl eher unwahrscheinlich.


Bild: Koloriertes Schwarzweiss-Foto


Bild: Kopie des vergoldeten Löwen aus der Altenburg

Wahrscheinlicher war die "Altenburg" ein Bauwerk der Freiherren oder Grafen "de Marstettin", welche enge Kontakte zum Bistum Konstanz pflegten. Angeblich stammt ein noch heute vorhandenes Sandsteinrelief aus der Fassade der "Altenburg" und zeigt das Wappen der Bischöfe von Konstanz:

Wappen der Konstanzer Bischöfe


Wappen aus der «Altenburg» bei Märstetten
 
 


Die Märstetter "Altenburg" als Stammsitz der späteren Habsburger?
Abenteuerlich, aber trotz vieler anderslautender Vermutungen nicht völlig auszuschliessen ist die Version, dass es sich bei der "Altenburg" bei Märstetten im Thurgau um die mehrfach erwähnte Stammburg des "Lanzelinus I." (Lanzelin) oder "Kanzelinus I." (Kanzelin), "Graf vom Thurgau auf der Altenburg" und Stammvater des späteren Geschlechts der "Habsburger" handelt.

Dieser Lanzelin I. war - und hier wird's wieder spannend - mit "Luitgard von Nellenburg" (auch genannt "Luitgard vom Thurgau") verheiratet, welche wiederum die Tochter des Grafen "Eberhard von Nellenburg, Graf im Thurgau" war.

Die "Nellenburg" als Stammsitz dieses Geschlechts liegt nördlich von Konstanz oberhalb der Gemeinde Stockach. "Lanzelin I." hatte zusammen mit "Luitgard vom Thurgau" vier Kinder, darunter "Radbot I." (985-1045 n. Chr.), Graf im Klettgau; einen nicht näher dokumentierten "Rudolf I.", sowie "Landolt II.", Vogt des Klosters Reichenau (siehe auch nächsten Abschnitt!) und "Werinher I.", den späteren Bischof "Werner I." von Strassburg.

Der Vorgänger von "Werner I." als Bischof von Strassburg, Bischof "Alawich II.", stammte wohl aus dem schwäbischen Adelsgeschlecht der Grafen von Sulz. In jungen Jahren war er einfacher Mönch auf der Reichenau und wurde am 13. Oktober 973 Abt von Pfäffers. Im April 997 wurde Alawich II. Abt von der Reichenau. Im Jahre 999 wurde er Bischof von Strassburg und auf ihn folgte als Abt der Reichenau ein nicht näher umschriebener "Werinher", der sinnvollerweise durchaus mit "Werner I." identisch sein könnte.

Die örtlichen und familiären Beziehungen legen also zumindest die Vermutung nahe, dass es sich bei der erwähnten "Altenburg" der Grafen im Thurgau tatsächlich nicht wie bisher angenommen zwingend um die "Altenburg" bei Brugg im Aargau, sondern um diejenige am Kemmenbach handeln könnte. Dies speziell auch unter Berücksichtigung der engen Kontakte der Grafen "de Marstettin" zu den Nellenburgern sowie der Herren "von Klingen" zu den Habsburgern.

Die Habsburg auf einem Stich aus dem 16. Jahrhundert
Radbot I., Sohn Lanzelins, soll die "Habichtsburg" (Habsburg) um 1020 erbaut haben. Die Habichtsburg war kein weitläufiges Schloss mit Palas, Kemenaten und Ringmauern, sondern ein schlichter Turm, allein dem Zwecke der Verteidigung dienend.

Die Sage berichtet, Radbot habe sein Schloss absichtlich ohne Wachtürme und Ringmauern gelassen. Wegen dieses Leichtsinns sei er von seinem ältesten Bruder, Bischof Werner von Strassburg, scharf getadelt worden, worauf er mit dem Kirchenfürsten eine Wette einging:

Binnen einer Nacht, versprach Radbot, werde er das Versäumte nachholen und seine Burg mit einer festen Schutzwehr versehen. Als der Bischof am nächsten Morgen ans Fenster seines Gemachs trat, da traute er seinen Augen nicht! Rings um die Burg waren Radbots Dienstmannen aufgestellt, eine lebende Schutzwehr, und Türmen gleich ragten schwer gepanzerte Reiter aus den dicht geschlossenen Reihen.

Diese mangelnde Sicherheit des Bauwerks zeigt Parallelen zur "Altenburg" bei Märstetten, auf welcher "Radbot I." allenfalls aufgewachsen sein könnte.

1050 n. Chr. | Bau der Burg "Buch" bei Illertissen

Nach verschiedenen Quellen wird das Jahr 1050 als Baujahr einer Burg "Marstetten" beim heutigen Aitrach im Allgäu angenommen. Vermutlich handelt es sich dabei um eine Verwechslung, denn aufgrund der Chronologie des Geschlechts der "de Marstetin" ist es äusserst unwahrscheinlich, dass die Grafen von Märstetten bereits zu dieser Zeit im Allgäu aktiv waren.

Hingegen scheint tatsächlich im Jahr 1050 eine Burg in Bayern gebaut worden zu sein, deren Erbauer später in das Geschlecht der "Grafen von Marstetten" eingeheiratet haben (siehe die Sage vom "Möringer"). Diese Burg befindet sich allerdings nicht bei Aitrach, sondern im Ortsteil Buch des heutigen Marktes "Buch" bei Illertissen, zwischen Memmingen und Ulm. Bei den Erbauern soll es sich um die "Herren von Buch" gehandelt haben.

1086 n. Chr. | Synode zu Konstanz
Interessant ist einerseits die Zusammensetzung der Synoden-Teilnehmer, andererseits aber auch, dass "Adelgoz de Marestetin" auch als "Capitaneus", also gemäss römischem Sprachgebrauch als "Gemeindevorsteher" oder "Gemeindehauptmann" bezeichnet wird.

Diese Synode wurde abgehalten im Jahr der Fleischwerdung des Herrn 1086, um die Kalenden des April (1. April). Bei ihr waren insgesamt zugegen die Äbte Ekkehard von Reichenau, Siegfried von St. Salvator in Schaffhausen, Adelheim von Altdorf [-Weingarten], Trutwin von Stein (am Rhein), die Geistlichen von St. Marien in Konstanz, der Dekan Otto, Ulrich, Wito, Heinrich, Gunterich, Azzo und andere Mitbrüder, sowie eine weitere nicht unbedeutende Geistlichkeit, die zur Synode gekommen war, die Herzöge Welf (I. von Bayern), Berthold (von Rheinfelden) und Berthold (II. von Zähringen), die Grafen Burchard von Nellenburg, Kuno von Wilvelingen (Wülflingen), Manegold von Altshausen, die Gemeindevorsteher (Capitaneus) Konrad von Heiligenberg, Adelgoz de Marestetin, Arnold von Binzwangen und andere sehr viele vornehme Würdenträger Alemanniens, die aufzuzählen zu weitläufig wäre, ausserdem zahlloses Volk.
Quelle: Übersetzung der "Notitiae fundationis et traditionum monasterii S. Georgii" (St. Georgener Gründungsbericht)

1087 n. Chr. | Adelgoz de Marstettin als Zeuge im Kloster Allerheiligen

Grab von Eberhard III. von Nellenburg im Kloster Allerheiligen

Graf Burchard von Nellenburg erneuert und beurkundet am 4. Juni 1087 seine und seiner Eltern Vergabungen an das Kloster Allerheiligen. Auf Bitten Abt Wilhelms von Hirsau, den er zur Reformation des Klosters hat kommen lassen, entsagt er dem Recht der Advokatie und allen sonstigen Privilegien und gibt dem Gotteshaus die "villa Scafhusa cum publica moneta, mercato". Durch eine Gesandtschaft an Papst Gregor VII. wirkt er dem Kloster die Immunität aus und bestätigt die Schenkungen seines Vaters Eberhard. Als Zeuge für den Thurgau ist "Adelgoz de Marstetin" samt gleichnamigem Sohn anwesend:

Hec traditio facta est ante5 eodem monasterio, anno incarnationis domini millesimo LXXXVII., indictione X., IV. nonas iulii, coram subscriptis Christi sacerdotibus et6 multitudine procerum testibusque idoneis: Bertoldus dux. Welf dux. Bertoldus dux. Gebehardus episcopus Constantiensis (Gebhard, Bischof von Konstanz). Willehelmus abbas Hirsaugiensis. Sigifridus abbas Ioci istius. Heinricus abbas de Sancto Georgio (Heinrich, Abt von St. Georgen). Dietricus abbas de Petrishusen. De pago Cletgowe: Gerungus comes de Rǒdelingin. Anno de Rǒdelingin. Arnoldus de Lienheim. Liutoldus de Rǒdelingin. Lampertus de Rǒdelingin. Heinricus de Witelesperk. Waltherus de Berowa. De pago Tyregensi: Liutoldus de Busebach. Adelbolt de Niuheim. Eggehardus de Cussinach. Eberhardus de Vare. Geroldus de Botistein. De pago Priscaugiensi: Erlewin de Niunburk. Hecil de Egga. Odelricus de Liutegeringin. De pago Tiurgowensi: Waltherus de Elnsowa (Walter von Elsau). Adelgoz de Marstetin. Adelgoz filius eius (sein Sohn). De pago Hegowensi: Triutwin de Griezbach. Adelbero de Singin. Wipertus de Honerhusin. Hilteboldus de Slato. Herimannus de Gielingin. Heinricus de Engin. De pago Suscengowensi: Rǒdolfus de Walthusin. Adelgoz frater eius. De pago Hilargowensi: Otto de Chirchberk. Heinricus de Baldesheim. De pago Swalevelden: Ŏdalscalk de Ellingin. De pago Ratoldesboch: Bertoldus de Butelsceiz. De pago Rammesgowensi: Bertoldus de Sunemǒtingin. Mangoldus frater eius.
1092 n. Chr. | Graf Burchard von Nellenburg schenkt die "villa Hemmental cum foresto"
Am 26. Februar 1092 n. Chr. erneuert und beurkundet Graf Burchard von Nellenburg seine und seiner Eltern Vergabungen an das Kloster Allerheiligen. Er schenkt dem Kloster die villa Hemmental cum foresto (Stein 1092 Februar 26, in villa, que dicitur Stein). Auch hier ist die Zusammensetzung der Zeugen hochinteressant: "Adelgoz de Marsteti" wird unter anderem zusammen mit Herzog "Welf", Herzog "Berthold", Graf "Dieterich de Biurgeliun" (Bürglen) und "Diethalm de Tochimburc" (Diethelm von Toggenburg) genannt. Ob Adelgoz zu diesem Zeitpunkt bereits den Titel eines "comes" - also eines Grafen - trug, ist unbekannt, zumal der Verfasser wohl die Titel nicht konsequent aufgelistet hat:

Actum in villa, que dicitur Stein, anno incarnationis domini MLXXXXII., indictione XV., epactis IX.11, concurrente IIII., mense12 februario, V. kalendas martii121, luna XIIII., die iovis, coram multitudine procerum testibusque idoneis, quorum nomina hic sunt subternotata: Welfo dux. Heinrich filius eius. Bertholt dux. Dieterich comes de Biurgeliun. Herimann de Egga. Alewich comes de Siulzo. Erlewin de Nuemburch. Erlewin filius eius. Heinricus de Baldesheim. Manegolt de Rordorf. Wito de Wila. Diethalm de Tochimburc. Egilwart de Calpho. Adelgoz de Marsteti. Nogge de Witilisberc. Heinrich frater eius. Liutolt de Aralingen. Adelgoz de Werra. Pilgrin de Ussenkilichun. Chǒno de Sǒlzo. Eberhart de Sedorf. Adelbolt de Niuheim. Egilolf de Ziuge. Chǒno de Seolvinga. Chǒnrad de Heligemoberga. Eberhart filius eius. Nogge de Wizzembǒrch. Hartwic de Strazza. Bertholt de Sparewaresegga. Bertholt filius eius. Adelgoz de Walthusen. Benno de Speicchinga. Adelbero de Sitinga. Sigibreth de Baldinga. Heriman de Soneicha. Dietrich de Undersinga. Tǒto de Wilare. Wolftrigil de Matzinga. Ŏdalrich et Rǒdolf de Wigeheim. Altman de Batemaringa.
der berühmte mittelalterliche Goldschmied Benvenuto Cellini gesagt hat: „Das Email cloisonné ist die edelste aller Emailtechniken“