Sie werden sich wundern, was die letzte Eiszeit - die "Würm-Eiszeit" - mit dem heutigen Hochwasserschutz im Thurtal zu tun haben könnte. Vor rund 19'500 Jahren, während des so genannten "Stein am Rhein"-Stadial, war der Thurgau noch weitgehend von dickem Gletschereis bedeckt. Mit dem Rückzug des Rheingletschers Richtung Bodensee  bildete sich im Gebiet zwischen Sulgen und einer Endmoräne im Raum Andelfingen, Ossingen ein veritabler "Thurtalsee".

Der Bodenseeraum vor etwa 19'500 Jahren

 

Karte: Die Vergletscherungsgrenze im "Stein-am-Rhein Stadial" vor etwa 19'500 Jahren (mit freundlicher Genehmigung des Autors und Glazialgeologen Dr. Oskar Keller)

Der Rheingletscher hatte eine Zunge aus dem Bodenseeraum über das Gebiet des heutigen Aachtals (Egnach/Sulgen) bis in die Gegend von Winterthur vorgeschoben.

Der "Thurtalsee"

Karte: Die Vergletscherungsgrenze im "Konstanz Stadial" vor etwa 18'000 Jahren. Am linken Bildrand unterhalb des Ottenbergs ist das Ostufer des "Thurtalsees" erkennbar (mit freundlicher Genehmigung des Autors und Glazialgeologen Dr. Oskar Keller)

Beim Rückzug der Gletscher vor etwa 18'000 Jahren entstand ein etwa 40 km langer See zwischen Ottenberg, Seerücken und Wellenberg. Gleichzeitig wurden auch Hüttwilersee, Nussbaumersee und Hasensee im Seebachtal gebildet.

 

Fantasie ist doch etwas Schönes: Ganz ähnlich wie auf diesem Bild darf man sich das Thurtal kurz nach dem Rückzug der eiszeitlichen Gletscher aus dem Raum nördlich Riedt-Erlen in Richtung Westen gesehen etwa vorstellen (rechts der Ottenberg, bei den grossen Eisbergen dürfte etwa Märstetten und Wigoltingen liegen. Am Horizont die Ausläufer des Seerückens bei Herdern).


Die Ufer des nacheiszeitlichen Thurtalsees dürften etwa auf etwa 400-420 m.ü.M. gelegen haben. Die Uferlinie des ehemaligen Gletscherrandsees bildet sinngemäss noch heute die Grenze eines möglichen Überflutungsgebiets bei extremem Thurhochwasser (Grafik: Kanton Thurgau):

 

Blick von Südosten: Im Vordergrund Weinfelden, in Bildmitte Märstetten (Hochwassergrenze etwa beim Schulhaus Regelwiesen, zwischen Gartenstrasse und Regelwiesenstrasse), links oben im Hintergrund die Stadt Frauenfeld.

Die Thurebene, wie wir sie heute kennen, wurde anschliessend in Tausenden von Jahren durch Kies, Geröll und Schotter der nacheiszeitlichen Flüsse allmählich aufgefüllt und begann zu verlanden.

 

Bild: Tundra am Rand ehemaliger Gletschergebiete

Erste Thurkorrektur

Bild: Herrlich mäandrierender Abschnitt des Yukon-River. Das Gebiet der heutigen Thurebene dürfte noch vor wenigen hundert Jahren ganz ähnlich ausgesehen haben.


Im Thurtal des 19. Jahrhunderts drangen die Siedlungen und landwirtschaftlichen Flächen immer näher an das Flussbett vor. Der natürliche Flusslauf mit seinen Mäandern und unwegsamen, oft sumpfartigen Auenwäldern stellte dabei sowohl für die infrastrukturelle Entwicklung als auch für eine ausreichende Versorgungslage ein Hindernis dar. Ausserdem stieg durch die Nähe zum Fluss die Gefahr durch Hochwässer stetig.

 

Bild: Der Gebirgsfluss Tagliamento in Norditalien. So dürfte unser Thurtal zwischen Amlikon und Weinfelden vor 200 Jahren etwa ausgesehen haben. Die einzelnen Kiesinseln waren mit Holzbrücken verbunden (in Weinfelden z.B. Alte Mühle - Thurbad - Rothenhausen)

Um diese Probleme zu lösen, wurde in den Jahren von 1874 bis 1890 das Flussbett der Thur korrigiert. Hierfür wurden die Mäander durchtrennt, das Flussbett begradigt und kanalartig angelegt, die Auenwälder zum Teil abgeholzt, Sumpfgebiete trocken gelegt, und parallel zum Flussbett, in 50 Metern Abstand zum Flusslauf, Hochwasserschutzdämme errichtet.

 

Bild: Typischer Auenwald mit ehemaligem Flussarm (Gill)

Diese Eingriffe führten jedoch mit der Zeit zu diversen Problemen. Durch den verkürzten Flusslauf musste der Fluss die gleiche Menge Wasser in kürzerer Zeit abführen, was zu höheren Fliessgeschwindigkeiten führte. Außerdem kam hinzu, dass durch das Fehlen des Auenwaldes, der wie ein Schwamm wirkt, mehr Wasser abfloss als sonst. Die Folgen waren Dammbrüche, die an vielen Stellen auftraten. Durch die Überschwemmungen wurde ökonomisch wertvolles Land und flussnahe Bauwerke wie Brücken oder Häuser zerstört.

Ein weiteres Problem war, dass durch diverse Bauwerke und Kiesentnahmestellen entlang des Flusses sich die Gesteinsfracht verringerte und dies, gepaart mit der höheren Fliessgeschwindigkeit des Flusses, zu einer Eintiefung des Flussbettes führte, was ein Absinken des Grundwasserspiegels zu Folge hatte. Dies wiederum beeinflusste die Landwirtschaft und erschwerte die Trinkwasserversorgung, da immer tiefer gebohrt werden musste, um an sauberes Grundwasser zu kommen.

 

Auch die Natur veränderte sich durch die Massnahmen. Durch den lebensfeindlicheren und eingeschränkten Lebensraum nahm die Pflanzen- und Tiervielfalt kontinuierlich ab. Für Fische und Vögel hiess dies konkret, dass die für die Artenerhaltung nötigen Ruheplätze fehlten und die Fische speziell mit den höheren Fliessgeschwindigkeiten nicht zurecht kamen, sprich, es wurden viele ökologisch wertvolle Gebiete zerstört.

(Quelle "Erste Thurkorrektur": Uni Karlsruhe, Bau - Geo - Umwelt, Exkursion 2007)

Für die heutige Planung von Hochwasserschutzmassnahmen im Gebiet der Thurebene müssen alte Karten zu Hilfe genommen werden, auf welchen die ursprünglichen Arme der unverbauten, mäandrierenden Thur erkennbar sind. Bei den Jahrhunderthochwassern im Gebiet der Reuss und Aare hat es sich gezeigt, dass die von blossem Auge kaum noch erkennbaren, nur wenige Zentimeter tiefer liegenden, alten Flussläufe als erstes "zurück erobert" werden. Es ist daher wichtig, deren Verlauf zu kennen.